Freitag, 14. März 2008

Rückblick: Ärmelkanal 1985

Aktuelles zum Ärmelkanal-Triathlon 3.-6. Sept. 2010 (leider nur auf Englisch, sorry!): www.channel-triathlon.com

Beim Aufräumen im Keller fand ich vor wenigen Tagen meine "historischen" Artikel und Pressemitteilungen über das "große Event" von 1985 wieder - erste Kanalüberquerung unseres Teams, offiziell als erste deutsche Frau.

Es war 1985 eine ganz spezielle Erfahrung, mit meinem Team und mit dem Hintergrund der Meditation. Damals hatte ich gar nicht gewusst, dass Ärmelkanalschwimmen ein offizielles Event ist - für mich war es eine persönliche Herausforderung, ich wollte mir selbst und der Welt beweisen, dass man mit innerer Kraft weiter gehen kann, als man normalerweise für möglich hält, und ich wollte wissen, welche inneren Erfahrungen man dabei macht.

Die folgende Pressemitteilung von damals gibt nur einen kleinen Einblick in die innere Motivation, die Faszination und Beweggründe, die einen dazu treiben, sich auf solche Abenteuer und Herausforderungen einzulassen. Mehr dazu in späteren Beiträgen, auch aus den Erfahrungen anderer Sportler. Kommentare von Lesern des Blogs zu ihren eigenen Erfahrungen sind ausdrücklich erwünscht!

Bericht vom 17.9.1985

Erste deutsche Frau durchschwimmt den Erste deutsche Frau durchschwimmt den Ärmelkanal

Die Übersetzerin Vasanti Niemz (28 Jahre, geb. 1956) aus Heidelberg durchschwamm am 9. September als offiziell erste deutsche Frau den Ärmelkanal zwischen England und Frankreich. Sie benötigte dafür 16 Std. 55 Min. (offizielle Zeit war dann 17.01)

Die 175 cm große Sportlerin (80 kg) startete ihren Überquerungsvesuch vom Shakspeare Beach in Dover um 7.00 Uhr morgens bei wolkenlosem Himmel und beinahe Windstille. Sie erreichte Frankreich in der Dunkelheit; um 23.55 ging sie an einem sandigen Stück der französischen Küste in der Bucht von Vissant an Land. Seit dem 15. Juli hatte sie auf die richtige Kombination von Strömung, Windstärke und Wetter gewartet, um die Überquerung zu versuchen. Doch trotz der guten Wettebedingungen und der Hilfe des erfahrenen Kapitäns des Begleitbootes, Dave Whyte, zwangen die Strömungen des Kanals Vasanti Niemz zu einem s-förmigen Kurs, der die Distanz von 20 Meilen auf ca. 24 Meilen vergrößerte.

„Die ersten beiden Stunden waren am schwierigsten,“ meinte Vasanti Niemz rückblickend. „Man sieht noch nicht genau, auf was man sich da eingelassen hat, und man braucht eine Zeit, um seinen Rhythmus zu finden. Nach drei Stunden sagte mir der Bootsführer, mein Tempo sei schneller als erwartet und ich werde eventuell schon nach 12 Stunden fertig sein. Ich hatte mit ca. 16 Stunden gerechnet und wurde durch diese Möglichkeit sicher sehr stark motiviert. Nach 6 Stunden, als ich die französische Küste schon ganz deutlich beim Schwimmen erkennen konnte, wusste ich innerlich, dass ich es schaffen würde, dass es nur eine Frage der Zeit war. Auch als nach 11 Stunden die Gegenströmung stärker als erwartet einsetzte und uns entlang der Küste etwas abtrieb und man mir immer wieder sagen musste: ‚Noch 1-2 Stunden länger’, hatte ich keinerlei Probleme. Im Training war ich oft 2, 3 oder 4 Stunden geschwommen, da kamen mir 1-2 Stunden wenig vor. Als ich nach fast 17 Stunden dann endlich an einem schmalen Streifen mit sandigem Strand landen konnte, war ich natürlich froh und glücklich. Das war also der Kanal gewesen! Ich konnte überhaupt nicht einschätzen, was ich geleistet hatte. Ich fühlte mich einfach voller Frieden und ruhiger Freude.“

Wie der offizielle Beobacher der Channel Swimming Association von Folkestone (die die Überquerungen überwacht und offiziell anerkennt) in seinem Bericht notiert, hat Vasanti, abgesehen von den ersten beiden Stunden, konstant die gleiche Zahl der Kraulbewegungen pro Minute beibehalten (70). Nach 10 Stunden trägt er die Bemerkung ein: „Still smiling, still going strong. (Sie lächelt immer noch und ist immer noch stark.)“ Bei der regelmäßigen „Fütterung“ in Abständen von ca. 45 Minuten kommt der Schwimmer ganz nahe an das Boot heran und erhält in einem Plastikbecher oder einer Plastikflasche flüssige oder halbflüssige Nahrung – Vitamin- und Mineraldrinks, warme Schokolade, Babynahrung und auch mal Mars-Bars, Milky Way oder Pfirsichstücke aus der Dose herabgereicht. Dabei kann er/sie einige Worte mit den Helfern und der Crew auf dem Boot wechseln und sich aufmuntern lassen.

Vasanti schwamm als Mitglied des Sri Chinmoy Centres und Sri Chinmoy Marathon Teams, einer internationalen Gruppe von Menschen, die einen auf „self-transcendence“ ausgerichteten Lebensstil praktizieren, der körperliche Fitness, Dienst an der Gemeinschaft und Meditation verbindet. „Das bedeutet, dass wir immer wieder versuchen, ein Stück weiter zu gehen,“ erklärt Vasanti Niemz. Vor ihrer Überquerung hat sie schon an anderen Langstreckenveranstaltungen oder Ultra-Events teilgenommen und nach eigenen Worten sehr schöne Erfahrungen dabei gemacht, u.a. Marathons und 12-Stunden-Gehen. Die Kanalüberquerung siedelt sie jedoch auf einer noch höheren Ebene körperlicher und mentaler Leistung an. Wenn es Zeit und Geld erlauben, möchte sie in den kommenden Jahren etwas noch Größeres anstreben: einen Ärmelkanal-Triathlon.

Einen Tag nach ihrer erfolgreichen Überquerung schaffte es auch ein Team-Kollege von Vasanti Niemz, der Amerkaner Adhirata Keefe, den Kanal zu durchschwimmen - in 14 Stunden 51 Minuten, als zweiter des Teams. Der 28-jährige Adhiratha Keefe ist der Leiter des „Record Management“ der UNICEF an den Vereinten Nationen und ebenfalls ein Ultra-Läufer. Beide haben erst im April mit dem Kanal-Training begonnen – normalerweise trainieren Kanalschwimmer ein bis zwei Jahre für die Überquerung. Neben täglichem 2-3-stündigem Training gehörten längere Distanzen – ein 12-Meilen- und ein 18-Meilen Testschwimmen im 4-Wochen-Abstand – mit zum Programm.

„Als ich diese beiden Distanzen nach so kurzer Trainingszeit schaffen konnte,“ meinte Vasanti, „hatte ich das Vertrauen, auch den Kanal schaffen zu können. Die Wartezeit in Dover und 2 Wochen Training am Jones Beach in Long Island rundeten meine Vorbereitung ab.“ Sie ist sicher, dass ihre langjährige Meditationserfahrung und die innere Unterstützung durch ihr Team auch ausschlaggebend für die gefühlte Leichtigkeit ihres Unternehmens war: „Der geistige Faktor spielt eine sehr große Rolle bei solchen langen Distanzen. Wenn man eine positive Haltung hat, Vertrauen und Entschlossenheit, und sich aus den Gedanken lösen kann, dann hat man leichteren Zugang zu dieser inneren Quelle der Kraft, die man oft erst nach einer großen Ermüdungsphase erreicht und deren Erfahrung von Sportlern allgemein als so überwältigend empfunden wird. Wenn man zu stark mit seinen Gedanken beschäftigt und unfähig ist, sich zu konzentrieren, dringt man gar nicht zu dieser Erfahrung durch. Hier kann übrigens auch die Konzentration auf ein Mantra helfen.“

Ein Geheimnis hat Vasanti noch: Musik. Schon beim 12 Stunden-Gehen in New York machte sie die Erfahrung, wie stark Musik Kraft geben und Ermüdung und Schmerzen auslöschen kann. Für die Kanalüberquerung hatte ihr Meditationslehrer Sri Chinmoy eigens ein Lied zur Inspiration komponiert, und besonders eine Zeile davon sang sie während der Überquerung ständig im Stillen vor sich hin: „Within my heart and before my eyes ecstasy-bird speedily flies.“ – Bis das Lied sich von selbst sang, wie sie es ausdrückt.

Bis heute (Stand 17.9.1985!) haben ca. 250 Personen den Ärmelkanal erfolgreich durchquert, viele von ihnen mehrere Male. Knapp 500 Überquerungen haben ingesamt stattgefunden, jedoch weit mehr Versuche: die Erfolgsquoet lag 1974 bei 25 %! 1/3 der erfolgreichen Überquerungen wurden von Frauen ausgeführt. Es heißt, dass die Erfolgsquote bei den Frauen in der letzten Zeit erstaunlich hoch war, und man führt das unter anderem darauf zurück, dass Frauen angeblich zäher und belastbarer sind und auch durch ihr natürliches Unterhautfettgewebe besser gegen die Kälte gewappnet sind als Männer. Als Regel muss man übrigens sagen, dass ein Kanalschwimmer mindestens 10 Pfund Übergewicht (besser 10 kg) mitbringen sollte, um die niedrigen Wassertemperaturen auszuhalten (1985 waren es 55 Grad Fahrenheit, ca. 13.5 Grad Celsius).

Sri Chinmoy, der Vasanti Niemz vor ihrer Rückkehr nach Deutschland nach New York eingeladen hatte, gab den beiden Kanalschwimmern einen herzlichen Empfang. „Ihr seid eine große Inspiration für uns alle,“ sagte er. Und auch er schien schon an weitere Unternehmen zu denken: „Was gestern unmöglich schien, wurde zur Wirklichkeit von heute,“ kommentierte er. „Und diese Wirklichkeit muss wiederum transzendiert werden, denn die Botschaft, die wir der Welt anerbieten, ist die der Selbsttranszendenz, des Über-Sich-Selbst-Hinauswachsens.“ Dies sei eine besondere Art der Vervollkommnung und ein anderes Wort für innere Erfüllung. Vielleicht also tatsächlich eine neue Herausforderung im nächsten Jahr?

Anmerkung: seit 1985 haben 36 Schwimmer des Sri Chinmoy Marathon Teams die Herausforderung geschafft - und die Tradition wird fortgesetzt....
Anmerkung 2: Infolge der Erderwärmung hat der Ärmelkanal inzwischen im August/September "angenehme" 18 Grad.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Das Lied ist sehr schön und sehr kraftvoll, Vasanti.

"Within my heart and before my eyes ecstasy-bird speedily flies."

Ich bewundere Deine Entschlossenheit...