Montag, 5. Mai 2008

Kein Rekord, harte Arbeit, und ein Super-Gefühl



73 km in 12 Stunden beim "Self-Transcendence-Lauf" in Basel

"Laufe und werde" - ein mantrischer Spruch Sri Chinmoys, des Begründers des nach ihm benannten international aktiven Marathon Teams, den wahrscheinlich am ehesten Läufer verstehen. Mich erinnert er immer an Erich Fromm und seinen Klassiker "Haben oder Sein", der mich während meiner Studienjahre genauso begeistert hat wie die Bücher über Zen.

Was ich am Laufen besonders liebe, ist die Einfachheit - ein paar Laufschuhe, Socken, Hose, Shirt- und es kann losgehen (o.k., bei Kälte/Nässe etwas mehr) - ob im Großstadtdschungel von New York oder in einsamer Natur. Man legt alles Überflüssige ab - und läuft sich frei! Denn wenn man mit dem Atem läuft, statt weg von ihm, wie es Fred Rohe in "Zen des Laufens" rät, bleiben auch negative Gedanken und Gefühle meist zurück. Man ist dem Mönchsein sehr nahe: Sein wird wichtiger als Haben, doch es ist kein statisches Sein, sondern ein sich ständig veränderndes - ein Prozess, ein Werden eben. Bei den längeren Läufen wie Marathon und mehr begegnet man zwar fast zwangsläufig auch Blockaden, Schmerzen und Tiefs (muss aber nicht sein!), aber man lernt sie zugleich auch überwinden, um dafür mit Erfahrungen des Fließens, Tanzens, Schwebens, der Freiheit und Grenzenlosigkeit belohnt zu werden - bis zu Momenten tiefer, fast ekstatischer Freude, die innerlich noch lange nachklingen.

Als ich am Samstagabend, 3. Mai, per Bahn in Basel ankam (nur 18 Euro Baden-Württemberg-Ticket!) und meinen Rolli und Sporttasche gegen 21 Uhr in die weitläufige Sportanlage St. Jakob schob, spürte ich sofort wieder die Faszination der Ultras, die der Verstand kaum begreifen kann. "Warum läuft man 12 oder gar 24 Stunden im Kreis?" "Gute Frage, nächste Frage..." Man muss es erleben. In der ruhigen Abendatmosphäre, zwischen den dunkelgrünen Rasenflächen von Fußballfeldern, Hecken und Baumalleen und einem unendlichen Himmelszelt darüber zogen seit 12 Uhr mittags schon die 24-Stunden-Läufer ihre Bahnen auf einer 1,2 km-Runde. Dynamisch-fröhliche Live-Musik-Klänge schwebten über der Anlage, an den Zählertischen fröhliche Stimmung und pausenlos aufmunternde Zurufe an die vorbeiströmenden Läufer, die meist immer noch lächeln oder scherzen konnten. Manche waren in ihrer Gehphase, der ein oder andere humpelte auch schon, aber viele wirkten überraschend frisch.

Ich genoss die Atmosphäre noch ein wenig, plauschte mit ein paar Freunden am beliebten und hochfrequentierten Food-Stand, legte mich eine halbe Stunden noch hin (mehr Tiefenentspannung als Schlaf) und machte mich dann fertig: Füßchen einschmieren (es sollte trotzdem eine schöne dicke Blase an der Innenseite der rechten Ferse geben), eine Zehe abkleben, Vaseline bzw. Melkfett an andere kritische Stellen (unter den Achseln etc.), Zwiebel-Look zum Ablegen nach der Aufwärmphase, noch einen Kaffee zum Wachbleiben und kurze Meditation - ohne Kraft von innen wäre ich hier hilflos. Pünktlich um 10 nach 12 der Start (die 24er hatten auch mit Verspätung begonnen).

Die erste Stunde lief super - Stella aus Moldavien, die am Schluss mit 87,9 km Platz 3 bei den Damen belegen sollte, und ich liefen zügig Seite an Seite, die Zeit verflog, doch dann wurde ich merklich langsamer und mein Ziel, die 80 km zu erreichen, löste sich klar in Luft auf. Schnell rechnete ich durch was möglich erschien, und setzte zwei neue Ziele: die 58 km von New York (10 Stunden-Walk) auf jeden Fall überbieten, und dann die 70 km ansteuern, ohne mich kaputt zu machen, denn den Marathon in 2 Wochen möchte ich noch passabel laufen.

Obwohl ich die Nacht liebe, war es diesmal schwer, ich musste mich Stunde um Stunde vorwärts kämpfen. Die motivierende Musik von Mountain Silence (Hörprobe) und Japaka's Orchestra (Hörprobe) - echte "Life-Saver", danke für euren "Ultra!! - der klare Sternenhimmel, alles konnte nicht verhindern , dass der Lauf vor allem in der ersten Hälfte für mich harte, schmerzhafte Arbeit war. Die Fersen fingen bald wieder an weh zu tun, manchmal wie ein Messerstich (alte Narben von einer alten OP), das Laufen war nicht rund, ich hatte deutlich "Schonhaltung". Ich wechselte in das andere Paar Laufschuhe mit dem besseren Fersenpolster. Sofort spürte ich den Unterschied. Jetzt war die Bewegung wieder runder, zwar nicht wesentlich schneller, aber fließender und harmonischer. Dennoch kamen die Schmerzen wieder. Ich versuchte es mit erst zwei, dann nochmal zwei Advil, meiner Notmedizin (obwohl ich sonst nie Tabletten nehme, ist es bei meinen Fersen manchmal die einzige Lösung, kommt aber selten zum Einsatz). Doch das Stechen blieb. Also weg von der Materie und es mit Atem und Vorstellung versuchen. Ich stellte mir vor, von oben durch den Scheitel Licht einzuatmen (nicht dass ich was gesehen hätte...), und es die Wirbelsäule entlang in die Füße und zu den Fersen fließen und dort kreisen zu lassen. Mein eigener Lehrer hat immer bekräftigt, was im indischen Yoga allgemein bekannt ist: dass man über den Atem sogar Krankheiten heilen kann. Und Toni Hasler, Trainer von Iron-Lady Natascha Badmann (übrigens auch Vegetarierin!), hat mir vor vielen Jahren mal erzählt, dass er bei seinen Triathleten bei Verletzungen manchmal eine "Lichtmeditation" benutzt bzw. anrät, bei der sie ebenfalls Licht in die verletzte Stelle senden - damals war ich recht erstaunt, so etwas von einem Schweizer Coach zu hören.

Was immer auch gewirkt haben mag, Schuhwechsel, Advil-Langzeitwirkung oder Atem und Licht - wenige Zeit später waren die Schmerzen weg und kamen erst ganz am Schluss für ganz kurze Zeit wieder.

Ab 5 Uhr, in der Stille der Morgendämmerung, mit feinen Nebelschwaden über dem Rasenplatz und, als die Musikgruppen Pause machten und nur das Vogelgezwitscher in den Bäumen und Hecken zu hören war, wurde es auf einmal wieder leichter. Nach 40 km wollte ich mir eine Pause gönnen, ich hatte auf 6 Uhr gehofft, aber es wurde etwas später - never mind. Ich hatte schon beschlossen, es jetzt locker zu nehmen, da ruft mir der "Anzeigentafel-Manager" zu: Vasanti, du bist auf dem Board (ganz unten, Platz 7)! O mei, also dranbleiben - ist für beide gut, für mich und die anderen. Dennoch habe ich mir jetzt eine 15-minütige Auszeit mit Massage und Kurzmeditation im Zelt des "Medical" verdient. Das ist wie das Schleifen der Säge.

Wieder draußen wurde das Gefühl leicht: von jetzt an geht es bergab - zeitlich gesehen. Bald erwachen auch die Musikgruppen wieder und übertragen ihre Energie und fröhliche Dynamik ein Stück weit auch auf uns - der Lauf-Rhythmus beschleunig sich in ihrer Nähe genauso wie bei den Zählertischen mit den unermüdlichen Anfeuerungen.

Immer wieder lasse ich meinen Blick über die grünen Hügel im Südosten oder einfach über die Anlage zu den vorbeiziehenden Läufern auf der anderen Seite schweifen, um mich von mir selbst abzulenken, und stelle mir einfach vor, ein Kind zu sein, das sich der Bewegung erfreut. Wie oft habe ich schon erlebt, dass man vor Schmerzen humpelt und sich quält, weil man ja weiß, wie lange man schon unterwegs ist, und auf einmal - schnipp - passiert etwas, und man läuft wieder und läuft und läuft, als wenn man gerade angefangen hätte. Gerade in den letzten Stunden erwachen bei vielen Läufern wieder neue Kräfte, die Stimmung steigt, die allgemeine Begeisterung verleiht neue Kräfte. Große Unterhaltungen hatte ich diesmal nicht, aber immer wieder werden nette, lustige oder aufmunternde Worte ausgetauscht, man ist eine Familie in dieser Läuferwelt.

Die Zeit verfliegt, die zweite Hälfte ist erstaunlicherweise wesentlich einfacher. Gegen Ende, als ich merke, dass ich die 70 km wider Erwarten schaffen werde, aber die Beinchen wieder nachlassen, gönne ich mir eine zweite Massage und ein paar Kreislauftrofpen. Und kann danach tatsächlich nochmal zulegen. (Großes Dankeschön auch nochmal an die unermüdlichen, selbstlosen Helferinnen und Helfer im Medical!!)

Zwar gibt es einige Walker, die wieder mal gleich schnell sind wie ich mit Laufen, aber der Rhythmus ist noch da. Allerdings kommen uns jetzt- trotz Medical - zunehmend immer wieder Läufer und Helfer entgegen, die die 24 Stunden vorzeitig abgebrochen haben. Einer sagt (sinngemäß): "So einen Lauf macht man halt zu 90 Prozent im Kopf." Sprich, wenn der Geist nicht mehr willig ist, dann macht der Körper eher schlapp. Dennoch - die meisten halten durch, überwinden ihre Tiefs.

Meine Angst vor der Hitze schien unbegründet - eine kühle Morgenbrise gleicht die zunehmend brennende Sonne lange Zeit aus, etwas Schatten schützt. Am Vortag hatten die Läufer nicht das Glück - die Temperatur stieg bis zu 30°C am Nachmittag, nachts kühlte es auf ca. 6°C ab. Wenn ich an die 6 Stunden in Nürnberg denke, kann ich trotzdem kaum glauben, dass ich hier jetzt noch so fit bin. Das gezwungenermaßen langsamere Tempo war für meinen Kreislauf auf jeden Fall positiv. Das merke ich am Schluss nochmal: Jetzt strenge ich mich nochmal richtig an, der Wind legt sich, die Sonne brennt, und als ich, statt die letzte Runde zu Ende zu laufen, mich schon mit den bequemen Schlappen in der Hand ins Massage-Zelt auf halber Strecke begebe, weil die Monster-Blase am rechten Fuss sich wieder gefüllt hat und der Fuß in 2 Wochen wieder gebraucht wird, wird mir ganz schummerig - der Kreislauf. Viel Wasser, ein paar homöopathische Tropfen, etwas Bioplasma und Beine hoch - dann geht es bald wieder. Es hat grad so gepasst.

Die Probleme bei diesem Lauf haben mich wichtige Dinge gelehrt oder wieder bewusst gemacht für August. Insgesamt hat mir der 12-Stunden-Lauf ein großes Gefühl von Zuversicht gegeben. Auch am nächsten Tag staune ich, wie fit ich mich insgesamt fühle. Mein Humpeln schaut zwar mitleiderregend aus, aber sobald ich in der Bewegung drin bin, kann ich joggen, Treppen rauflaufen, alles. Dass ich mit Gesamtplatz 7 der Damen und Platz 1 der Seniorinnen 1 (mangels weiterer Teilnehmerinnen meiner Altersklasse) trotz bescheidener 73, 4 km, über die ich aber sehr glücklich bin, noch eine weitere Trophäe für meine kleine Wohnung mitnehmen muss/darf, ist noch ein nettes Bonbon.


Zum Lauf selbst wäre noch anzumerken: es war die 20. Austragung dieses Events des Sri Chinmoy Marathon Teams, mit Teilnehmern ca. 25 verschiedener Nationaliäten. Jan Vandendriessche, Organisationschef der IAU (Internationalen Ultralauf-Vereinigung), kam extra aus Belgien gereist, um die Veranstaltung zu begutachten und erklärte bei der Siegerehrung voller Begeisterung und voll des Lobes: die Atmophäre, die Organisation, der Spirit - alles sei absolut beeindruckend und einzigartig für ihn gewesen.

Ein Läufer hatte übrigens auf sein Anmeldeformular geschrieben: "Ich freue mich auf die schönsten 24 Stunden des Jahres." Tja, man muss es zumindest miterlebt haben, um solche Ultrasportler zu begreifen.

A self-transcendence-mind

Has peace.

A oneness-heart

Is peace.

- Sri Chinmoy


Ergebnisse und offizieller Lauf-Bericht



Keine Kommentare: